Demokratie und Klimawandel: Ökologen als Vordenker einer Expertokratie?

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8. März 2010
Von Peter Siller
Expertise in der Krise: Anmerkungen zu einer ungelösten grünen Frage

In der Debatte um postdemokratische Tendenzen der gesellschaftlichen und institutionellen Entwicklung findet sich auch die Sorge um einen weiteren dramatischen Expertokratisierungsschub. Erklärt wird die These von der neuen Expertokratisierung und der damit einhergehenden Auslagerung politischer Entscheidungen aus dem demokratischen Prozess zum einen als Reaktion auf die Komplexität moderner Gesellschaften. Demokratie – so die durchaus gängige These – sei als Problemlöser vielfach überfordert mit den komplexen Zusammenhängen moderner Gesellschaften. Bislang fast unbemerkt könnte die Expertokratisierung daneben jedoch über eine zweite Argumentationsschiene Anschub bekommen, nämlich über den Zweifel, inwieweit es der Demokratie gelingt bzw. gelingen kann, zukünftige Interessen ins Spiel zu bringen und gerecht zu aggregieren. Die Sensibilität für Gerechtigkeit auf der Zeitachse hat mit dem Bewusstsein für die Dramatik des Klimawandels deutlich zugenommen, beschränkt sich jedoch nicht darauf: Auch in Debatten etwa um nachhaltige Finanzpolitik, Rente, Generationengerechtigkeit, Kinderpolitik etc. stellen sich analoge Fragen. In der Klimapolitik verbindet sich allerdings der Zweifel an der ausreichenden zeitlichen Reichweite demokratischer Institutionen oftmals mit dem existenziellen Argument, es gehe um nichts weniger, als um die Zukunft der Menschheit. Eine argumentative Mischung, die mit der Zuspitzung der Klimakrise eine hohe Suggestionskraft erlangen könnte.

Dabei erweisen sich mit Ökologen und Klimaschützern paradoxer Weise oftmals gerade Vertreter eines politischen Milieus als (bewusste oder unbewusste) Vordenker einer neuen Expertokratisierung und einer neuen Demokratieskepsis, das sich in den neuen sozialen Bewegungen der siebziger und achtziger Jahre noch eine weitere Demokratisierung der Gesellschaft auf die Fahnen schrieb. Es ist deshalb gerade für Grüne und grüne Milieus an der Zeit, die Frage nach dem Zusammenhang von Demokratie und Klimawandel zu stellen und zu diskutieren. Dabei kann eine grüne Antwort nur darin liegen, Demokratie als zentrales Element einer Klimastrategie, die auf Freiheit und Gerechtigkeit fußt, gegen Ökotechnokraten und Kulturpessimisten herauszustellen. Gleichzeitig ist die Debatte eine Chance, die institutionellen Arrangements unserer Demokratie auf neue Anforderungen zu durchdenken und gegebenenfalls im Sinne einer Stärkung der Demokratie zu ergänzen.

I. Kritik der Komplexitätsthese

Ein inzwischen fast klassisches Argument für expertokratische Lösungen besteht in der nicht ganz neuen Annahme einer zunehmenden Komplexität gesellschaftlicher Sachverhalte und einer damit einhergehenden Überforderung der Demokratie bei der Problemlösung. Die globalisierungsgetriebene Zerfaserung von Staatlichkeit ist dabei nur ein Grund, der die Komplexitätsthese stützen soll, weitere sind etwa die Risiken der technologischen Entwicklung, die Ausdifferenzierung der Rechtssysteme, die Kompliziertheit ökonomischer Sachverhalte oder die weltanschauliche Pluralisierung der Gesellschaften. Die Welt zu kompliziert, zu schwierig, für die Demokratie? Einfach war die Welt nie, auch nicht als die ersten Demokratien das Licht der Welt erblickten. Und schon gar nicht im 21. Jahrhundert mit seinen katastrophalen Erschütterungen. Vor allem aber fragt man sich verwundert, wo die Komplexitätsdiagnostiker ihr Vertrauen in die expertokratischen Alternativen hernehmen. Nicht nur die totalitären Erfahrungen des letzten Jahrhunderts sollten unser Misstrauen gegenüber einem wissenschaftlich-technologischen Selbstverständnis politischer Steuerung stärken. Nicht nur die Pluralität und Strittigkeit wissenschaftlicher Standpunkte, auch in den Naturwissenschaften, sollte uns stutzig machen. Es wäre zudem eine schwere Verirrung den normativen Raum des Politischen durch den zweckrationalen und empirischen Raum wissenschaftlicher Hypothesen zu ersetzen, zumal schon die Grenzziehung selbst ein politischer Akt ist, da in vielen scheinbar empirischen Annahmen unzählige Wertungen enthalten sind.

Die Kritik an expertokratischen Politikvorstellungen, an der Herrschaft von Kommissionen, Sachverständigen und Politikberatern ist nicht neu. Sie wurde beispielsweise in den siebziger Jahren in den Auseinandersetzungen um die Atomkraft und die damit verbundenen expertokratischen Allmachtsfantasien deutlich hervorgebracht. Gleichwohl lässt sich mit Blick auf die letzten zehn Jahre eine bedenkliche Tendenz der zunehmenden Expertokratisierung feststellen. Die Schröder-Jahre waren berühmt für Kommissionen aller Art, die sich oftmals weniger durch besondere Expertise auszeichneten, sondern über die eher versucht wurde, bestimmte Positionen mit erhöhter Autorität auszustatten. Zum Trend der Expertokratisierung gehört aber auch und vor allem die wachsende Auslagerung legislativer Entscheidungsbefugnisse entweder bei der Exekutive oder bei der Judikative, wo man den entsprechenden Sachverstand vermutet. Nur 35 Prozent der Gesetzesanträge im Bund werden vom Bundestag eingebracht. Daran zeigt sich ein Übergewicht der Regierungsapparate, das aus demokratischer Sicht hoch problematisch ist. Hinzu kommt eine unverständliche Selbstentmachtung des Parlaments in wichtigen Fragen, sei es durch eine unzureichende Fokussierung auf die grundlegenden Weichenstellungen, sei es durch die Abschiebung von Verantwortung. Die zunehmende Delegation von politischen Entscheidungen an das Bundesverfassungsgericht etwa ist ein demokratisches Armutszeugnis, auch wenn das Bundesverfassungsgericht selbst unter dem Vorsitzenden Kirchhoff an dieser expansiven Rolle gebastelt hat.

II. Finanzkrise als Wetterleuchten

All das könnte jedoch nur das Vorspiel für einen wesentlich tiefgreifenderen expertokratischen Schub sein, der mit einem wachsenden Krisenbewusstsein einhergehen könnte – wenn wir nicht aufpassen. Hier ist es neben dem Sachverstand der Zeitfaktor, der demokratische Verfahren enorm unter Druck setzt. Bereits in der dramatischen Finanz- und Wirtschaftskrise im Herbst 2008 wurde spürbar, dass die Legislative bei weitreichenden Entscheidungen in eine Statistenrolle gedrängt wurde – und sich hat drängen lassen. Unter dem Druck der Krise wurde im Eiltempo eine gigantische Neuverschuldung mit erheblichen Konsequenzen für die Jahre und Jahrzehnte danach durchgewunken, ohne dass es eine irgendwie vertiefte Debatte über Ziele und Effektivität der Konjunktur- und Stützungsprogramme gegeben hat. Alleine für 2010 ist eine Neuverschuldung des Bundes von 86 Milliarden Euro vorgesehen. Das ist die mit Abstand größte Neuverschuldung, die es in der bundesdeutschen Geschichte je gab. Bund, Länder und Kommunen werden vor dem Hintergrund der derzeitigen Wirtschafts- und Finanzkrise bis einschließlich 2013 wahrscheinlich 500 Milliarden Euro Schulden aufnehmen müssen. Alle Gebietskörperschaften in Deutschland zusammen werden dann 2.000 Milliarden Euro haben.

Als Angela Merkel und Peer Steinbrück am 8. Oktober des letzten Jahres vor die Presse traten und für die deutsche Bundesregierung eine – nur psychologisch zu begreifende - Garantieerklärung für die Spareinlagen in Deutschland abgaben, ging es möglicherweise tatsächlich um Stunden, um das Vertrauen in das deutsche Finanzsystem nicht ins Bodenlose fallen zu lassen. Wir erinnern uns: Ende September 2008 drohte der Hypo Real Estate die Insolvenz wegen Refinanzierungsschwierigkeiten der irischen Tochter Depfa am Interbankenmarkt mit dramatischen Folgen für zahlreiche weitere Banken. In dem, was dann mit den bislang zwei Konjunkturpakten und dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz folgte, kam jedoch die Rede vom „Durchregieren“ erst richtig zur Geltung. Gigantische Ausgaben wurden unter dem Druck der Krise über Nacht zusammengeschustert und ohne großartige parlamentarische Debatte oder auch nur Prüfung beschlossen.

Der Finanzmarktstabilisierungsfonds wurde am 17. Oktober 2008 in einem Eilverfahren beschlossen, bei dem am selben Tag Bundestag und Bundesrat das Finanzmarktstabilisierungsgesetz verabschiedeten und der Bundespräsident das Gesetz sogleich unterzeichnete. Die Rechtsverordnung zu diesem Gesetz wurde am 20. Oktober vom Bundeskabinett verabschiedet. Verwaltet wird der Fonds in Höhe von 480 Milliarden Euro durch die durch das Finanzmarktstabilisierungsgesetz eingerichtete Finanzmarktstabilisierungsanstalt; Anträge der Soffin werden von einem Lenkungsausschuss entschieden, dem je ein Vertreter des Kanzleramts, des Finanzministeriums, des Wirtschaftsministeriums und der Länder angehören. Zwar wird der Fonds von neun Mitgliedern des Bundestages überwacht. Beschlüsse ablehnen oder ändern können die Parlamentarier jedoch nicht. Die Finanzmarktstabilisierungsanstalt veröffentlicht bisher keine Informationen über Unternehmen, welche Anträge auf Hilfen des SoFFin gestellt haben. Der Bundesfinanzminister erwähnte in einer Mitteilung am 21. November 2008 eine „zweistellige Anzahl von Unternehmen“ welche sich „auf dem Wege“ zu Hilfen des SoFFin befänden.

Das gleiche Spiel eineinhalb Jahre später unter dem Druck eines Staatsbankrotts Griechenlands wieder:
Nach einem Eilverfahren billigten Bundestag und Bundesrat zunächst am 7. Mai 2010 die deutschen Notkredite von bis zu 22,4 Milliarden Euro bis zum Jahr 2012. Anschließend unterzeichnete Bundespräsident Horst Köhler das Griechenland-Gesetz, das nun sofort in Kraft treten kann. Am Abend trafen die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder in Brüssel ein, um den Startschuss zur Nothilfe für Athen zu geben.

Am 21. Mai 2010 beschloss der  Bundestag sodann unter dem Druck der Ereignisse ein Euro-Rettungspaket wiederum im Eilverfahren. Der deutsche Anteil an dem 750-Milliarden-Euro-Schutzschirm umfasste dabei Kreditgarantien von bis zu 148 Milliarden Euro. Das Gesetz war erst am Morgen durch einen Geschäftsordnungsantrag auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt worden. Auch der Bundesrat hat den Rettungsschirm gebilligt und verzichtete auf eine Anrufung des Vermittlungsausschusses.
Bei all dem könnte man nun in das allgemeine Lamento vom Verfall des Parlamentarismus im Besonderen und der Demokratie im Allgemeinen verfallen. Aber das wäre zu einfach. Die durchaus anspruchsvolle Frage lautet, wie sich die Demokratie unter dem Zeitdruck (tatsächlicher oder zumindest so wahrgenommener) gesellschaftlicher Krisen mit ihren Verfahren behaupten kann. Dass – etwa mit Blick auf die Finanzkrise – mehrfach ein enormer Handlungsdruck bestand, ist kaum von der Hand zu weisen. Dass die Demokratie aber, gerade bei solchen Entscheidungen mit weitreichenden Folgen, der eigentliche Ort der Entscheidung sein muss, ist vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen ebenso klar. Eine Selbstbehauptung des Parlamentarismus in der Krise darf es deshalb nicht beim Lamento belassen, sondern er muss über die eigene Praxis und mit eigenen praktikablen Vorschlägen in die Offensive. Zum einen muss er die Legislative als den Ort reklamieren, in dem nicht nur die formalen Gesetze verabschiedet werden, sondern in der Debatte und Qualitätskontrolle zu den entscheidenden Weichenstellungen öffentlich stattfindet. Zum anderen muss er konkret dort parlamentarische Kontrolle einfordern, wo sie sinnvoll und möglich ist - etwa beim erwähnten Finanzmarktstabilisierungsfonds.

III. Klimapolitik als Testfall

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat eine so verstörende Wirkung auf die Bürgerinnen und Bürger, weil sie – zum ersten Mal seit langer Zeit – das für selbstverständlich gehaltene Wohlstandsfundament der Bundesrepublik in Frage stellt. Die schwere Irritation beruht auf einer Hilflosigkeit, zu sehen und zunehmend auch zu spüren, dass die eigenen Lebensverhältnisse auf einer Wirtschaftsweise beruhen, deren globale Funktionsweise man kaum noch beherrscht, noch nicht mal durchschaut. Keiner weiß im Moment, wie sich die Krise weiter entwickeln wird und welche Überraschungen uns noch erwarten. Doch auch wenn wir optimistisch davon ausgehen, dass es bei einer „kleinen Depression“ bleibt und sich die Weltwirtschaft wieder fängt: Der am Horizont deutlich aufscheinende Klimawandel wird in jedem Fall dafür sorgen, dass uns die Psychologie der Krise erhalten bleibt, ja auf längere Sicht sogar drastisch zunimmt.

Auch hier deutet sich bereits jetzt eine tiefgreifende gesellschaftliche Transformation an, in der sich reale Bedrohung und Verlustängste mit einem enormen Zeitdruck verbinden. Wiederum gekoppelt mit der Ohnmacht, dass die eigenen Lebensverhältnisse von Faktoren abhängen, die man selbst kaum noch beherrscht.

Unsere Erde erwärmt sich in rasantem Tempo, die Arktis schmilzt, schon jetzt hat sich die Erde um 1 °C erwärmt. Der Weltklimarat hält inzwischen eine Erderwärmung um bis zu 6,4 °C bis zum Ende des Jahrhunderts für möglich. Er rechnet zudem bis 2030 mit einer Erhöhung des Meeresspiegels bis zu 0,58 m. Nach einer Studie von William Hare vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung drohen bei über 3 °C der Kollaps von Ökosystemen, deutlich verstärkt auftretende Hunger- und Wasserkrisen sowie weitere sozioökonomische Schäden, besonders in Entwicklungsländern. Die sozialen und ökonomischen Folgen sind schon heute in manchen Gegenden dramatisch: Wirbelstürme fordern zahlreiche Opfer und verursachen Schäden in Milliardenhöhe. Überschwemmungen oder Dürren machen ganze Regionen unbewohnbar und zwingen die Menschen zur Flucht. Die wirtschaftlichen Folgen sind nach gegenwärtigen Schätzungen beträchtlich. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzt, dass ein ungebremster Klimawandel bis zum Jahr 2050 bis zu 200 Billionen US-Dollar volkswirtschaftliche Kosten verursachen könnte. Der 2006 veröffentlichte Stern-Report der britischen Regierung nennt an zu erwartenden Schäden durch den Klimawandel bis zum Jahr 2100 Werte zwischen 5 % bis 20 % an der globalen Wirtschaftsleistung. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung sagte Stern, dass die in seinem Bericht gemachten Angaben zur tolerablen Konzentration an Treibhausgasen noch zu optimistisch gewesen und eine stärkere Reduktion nötig sei. In der Folge lägen die Präventionskosten etwa doppelt so hoch wie von ihm zuvor veranschlagt.

Die Gefahr, dass mit Zuspitzung der Klimakrise der autoritäre Ruf nach expertokratischer Lenkung immer lauter wird, ist immens. Auch wenn es Spekulation ist, in wie vielen Jahrzehnten eine Situation eintreten könnte, in der sich der soziale Druck durch die Klimakrise zur existentiellen Bedrohung ausbaut: Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich vorzustellen, dass der Ruf nach autoritären expertokratischen Lösungen immer lauter wird, je bedrohlicher der Klimawandel für viele wird.

IV. Zwei Argumente: Komplexität und Repräsentationsdefizit

Mit Blick auf die Klimafrage sind es bei genauerer Betrachtung auch beide Faktoren, die eine Expertokratisierung jenseits demokratischer Verfahren befördern könnten. Der eine Faktor liegt in der klassischen Komplexitätsannahme: Die Naturabläufe, zu kompliziert für den einfachen Volksvertreter. Ökologische Politik als naturwissenschaftliche Einsicht in die Notwendigkeit. Ironie der Geschichte: Hier kehrt bei manchen Ökologen heute die Sachzwanglogik zurück, die in den ökologischen Auseinandersetzungen der 70er-Jahre gesellschaftlich wie auch wissenschaftstheoretisch kritisiert wurde.

Neben der klassischen Komplexitätsthese kommt mit Blick auf die ökologische Frage ein weiteres demokratieskeptisches Argument hinzu, das tief an der Funktionsweise moderner Demokratien ansetzt und deshalb genauer zu betrachten ist: Moderne Demokratien beruhen – gleich welcher institutionellen Ausprägung – am Ende auf einer Mehrheitsentscheidung politisch freier Bürgerinnen und Bürger, sei es repräsentativ oder direkt, sei es in einer oder mehreren Kammern, sei es qua eigener Entscheidung oder qua Entscheidungsdelegation an die Exekutive. Der Gerechtigkeitsfortschritt demokratischer Auseinandersetzungen, aber auch vordemokratischer sozialer Kämpfe, beruht im Kern darauf, dass über die vorläufigen Auseinandersetzungen und Kämpfe soziale Ansprüche real existierender Menschen ins Spiel gebracht und wie auch immer austariert wurden. Betroffene und Entscheider waren – wenn auch vermittelt über entsprechende Vertretungen – identisch.

In der ökologischen Frage radikalisiert sich nun jedoch das Problem der Reichweite demokratischer Interessensaggregation auf der Zeitachse, das bereits in der Globalisierungsdebatte auf der Raumachse aufschimmert: In der nationalstaatlichen Demokratie aggregieren sich in erster Linie die Interessen derjenigen, deren Stimme als Bürgerinnen und Bürger in das demokratische Verfahren einfließen kann. Wie aber jene Stimmen und Interessen institutionell zu Gehör bringen, so die Frage der Globalisierungskritiker, die zwar von unseren Entscheidungen betroffen sind, aber keinen institutionellern Zugang zum demokratischen Entscheidungsverfahren haben? Ein Lösungsansatz besteht auch hier in einer Art expertokratischer Herausnahme der Berücksichtigung dieser Interessen aus dem demokratischen Verfahren. Ein anderer, weiter verbreiteter Ansatz in der Erweiterung des demokratischen Raums über transnationale Institutionen, um Demokratie und Interesseninklusion zu versöhnen.

Mit Blick auf die ökologische Frage geht es nun aber nicht nur darum, das „anderswo“ in das demokratische Verfahren einzubeziehen, sondern das „morgen“. Doch während eine Erweiterung der Demokratie auf der Raumachse zwar viele, und zum Teil wohl auch kaum lösbare praktische Probleme aufwirft, so ändert sie doch nichts am Grundgedanken der Demokratie, dass sich politische Freie in realita als Gleiche begegnen und entscheiden. Nicht nur mit der Klimafrage, aber mit ihr besonders und prägnant, sind nun massive Verletzungen der Interessen zukünftiger Interessen von Menschen verbunden, die sich ebenfalls nicht in das demokratische Verfahren einbringen können. Aber nicht, weil sie sich am falschen Ort außerhalb des räumlichen Einzugsgebiets der Demokratie bewegen, sondern weil es sie noch gar nicht gibt. Nicht als Menschen mit konkreten Bedürfnissen, aber auch nicht als Menschen mit eigenen Sichtweisen und Lebensentwürfen, die ja erst ihre Stimme als Gleiche unter Freien formen.

Die klassische Frage der angewandten Ethik, in wie weit mit Blick auf zukünftige Individuen überhaupt von einer Interessensverletzung gesprochen werden kann, da diese Interessen ja noch gar nicht gebildet wurden, sei hier nur kurz gestriffen: Interessensverletzung meint hier zum einen nicht die Verletzung aktueller Interessen, sondern die sichere oder zumindest wahrscheinliche Verletzung erst in der Zukunft gebildeter Interessen. Zum anderen kann eine ungerechtfertigte Verletzung dieser Interessen in Unkenntnis ihrer zukünftigen Ausprägung nur heißen, die Grundlagen dafür zu entziehen, dass zukünftige Individuen ihre Interessen so frei ausbilden und verwirklichen können, wie wir das heute auch beanspruchen. In wie weit ein solcher Anspruch operationalisierbar ist, hängt wiederum nicht zuletzt von der zu Grunde gelegten Gerechtigkeitsvorstellung ab. So klar jedoch ist, dass eine gigantische Staatsverschuldung diesen kategorischen Imperativ auf der Zeitachse verletzt, so klar ist erst recht, dass eine Welt klimatisch aus den Fugen geratene Welt erhebliche Ungerechtigkeit zu Lasten zukünftiger Individuen produziert.

Kehren wir zu der Ausgangsfrage zurück, wie die in diesem Sinn berücksichtigenswerten Interessen zukünftiger Individuen ins demokratische Verfahren gelangen, so müssen wir in der Tat feststellen: nicht durch die Betroffenen selbst. Damit, so könnte man weiter behaupten, entfalle jedoch auch jene Legitimationsgrundlage für demokratische Verfahren als Aushandlungsprozess zwischen Interessen nicht nur von sondern unter Betroffenen. Damit sei die notwendige demokratische Arithmetik verloren gegangen. Nun ist es ohne Zweifel so, dass Interessen ohne artikulationsfähige und auseinandersetzungsfähige Betroffene im demokratischen Konzert Gefahr laufen, unter zu gehen. Wir kennen diese Gefahr etwa auch für Minderheiteninteressen, die keine ausreichende Lautstärke erreichen.

Die Annahme, dass damit allerdings der Grund wegfalle, weshalb wir Demokratie als ein grundlegendes Prinzip unsers gesellschaftlichen Zusammenlebens betrachten, beruht auf falschen normativen Annahmen. Das wäre der Fall, wenn man Demokratie als einen reinen Interessenswettbewerb betrachtete, letztlich als definierten und zivilisierten Kampf egozentrischer Interessen. Die Idee eines Verfahrens, das Individuen in ihrer politischen Freiheit als Gleiche betrachtet, geht jedoch wesentlich darüber hinaus: Politische Freiheit meint nicht Lobbyismus in eigener Sache, sondern zunächst die Möglichkeit, eine eigene Vorstellung von Moral, Gerechtigkeit und gesellschaftlichem Leben zu bilden und zum Ausdruck bringen zu können. Insofern ist Demokratie nicht nur ein Instrument des Interessensausgleichs, sondern zunächst ein Verfahren im Streit um unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen (andere würden sagen: im Streit um das Gemeinwohl.) Demokratie braucht die Artikulation und Vertretung von Interessen, um diese am Ende nach welchem Modus auch immer, gerecht verarbeiten zu können. Der vorausgängige Grund für demokratische Verfahren liegt jedoch in der Tatsache, dass sich im demokratischen Verfahren politisch Freie - und das heißt eben nicht bloße Interessensträger sondern moralische Wesen – als Gleiche begegnen und mit ihren übergeordneten Vorstellungen diskursiv konkurrieren. In der demokratischen Praxis lässt sich dieses interessentranszendierende Moment auch an vielen Beispielen sehen: Viele parlamentarische Entscheidungen - etwa für Minderheiten ohne ausreichende Lobby - sind ohne eine interessentranszendierende, gerechtigkeitsorientierte Perspektive verbunden mit einer entsprechenden advokatorischen Wahrnehmung des Mandats gar nicht erklärbar.

Nun könnte man weiter einwenden, das sei ja alles richtig, aber mit Blick auf die Klimafrage sei die Gerechtigkeitsproblematik so weit auf der Zeitachse verschoben, dass es den gegenwärtigen Protagonisten völlig an den motivationalen Ressourcen fehle, auch diese betroffenen Interessen noch advokatorisch ins demokratische Spiel zu bringen. Die Demokratie habe zumindest hier eine Art „hedonistischen Defekt“, der es ihr unmöglich mache, Änderungen herbeizuführen, zumindest wenn sie mit Kosten oder gar Selbstbegrenzung verbunden sind.

Doch auch dieser Einwand ist in einem doppelten Sinn fragwürdig: Zum einen spricht einiges dafür, dass mit Blick auf den Klimawandel die reale soziale Betroffenheit auch in den westlichen Industrienationen schon nah heranrückt. Es ist keine Spekulation sondern sicher, dass heute hier geborene Kinder mit den negativen Folgen des Klimawandels konfrontiert sein werden. Spätestens in diesem Moment entfällt jedoch die Plausibilität, Demokratie in der Klimafrage unter einen allgemeinen Hedonismusverdacht zu stellen. Gleichwohl bleibt die Frage nach den motivationalen Ressourcen moralischen und politischen Handelns mit Zunahme der räumlichen und zeitlichen Entfernung ein wichtiger Untersuchungsgegenstand.

Zum anderen stellt sich unbenommen der Probleme, die die Verschiebung auf der Zeitachse, der damit verbundene Mangel an betroffenen Akteuren und die motivationale Schwächung nicht-betroffener Advokaten mit sich bringt, die Frage, warum dies den demokratischen Grundgedanken der Gleichheit in der politischen Freiheit außer Kraft setzen sollte. Anders herum gesprochen: Jedes andere expertokratische Entscheidungssystem, und habe es noch so viel ökologischen Sachverstand, ist weniger geeignet, das Klimaproblem zu lösen, als das demokratische. Hier ist ein ganzes Bündel an Argumenten anzuführen: Aus naturwissenschaftlichem Sachverstand folgt erstens noch keine normativ-politische Perspektive und wer das eine mit dem anderen verwechselt verabschiedet das Politische insgesamt. Ohne das demokratische Verfahren von freiem Ideenwettbewerb sowie parlamentarischer Kontrolle ist zweitens kein Vertrauen in sei es noch so ausgewiesenen Sachverstand gerechtfertigt. Das gilt umso mehr, als große Skepsis gegenüber der Möglichkeit angebracht ist, dass Demokratien nach einer selbstverordneten Auszeit in der Krise wieder zu ihr zurückfinden. Schließlich gibt es einen dritten Punkt von herausragender Bedeutung: Soweit man die Klimafrage als bloße Existenzfrage stellt, könnte man die politische Antwort zur Rettung der Menschheit nur an ihrer Effizienz auf dieses Ziel hin messen. In der Klimapolitik geht es jedoch nicht nur um das ob, sondern auch und vor allem um das wie des zukünftigen Lebens. Die Richtung und die genaue Gestalt der Klimapolitik ist mit Blick auf dieses wie nicht vorgegeben, sondern beruht auf zusätzlichen normativen Hypothesen – und hier kann es nur darum gehen, Freiheit und Gerechtigkeit von morgen zu sichern. Klimagerechtigkeit zielt im Rahmen eines erweiterten Gerechtigkeitsbegriffs auf gleiche Freiheit - auch für morgen und übermorgen. Dass jedoch eben diese Ausrichtung der Klimapolitik in einem expertokratischen Politikmodell gefunden werden könnte, muss mehr als bezweifelt werden. Eine politische Praxis, die in der klimapolitischen Ausrichtung auf Freiheit und Gerechtigkeit im übermorgen zielen soll, jedoch heute genau das über eine Abschaffung der demokratischen Praxis ignoriert, kann nicht gelingen. Nur wenn wir als gleiche Freie in der Demokratie zusammenkommen und entscheiden, leben wir in der Form, die uns die Bedeutung von Freiheit und Gleichheit auch für Entscheidungen auf der Zeitachse erhält.

An all das zu erinnern ist wichtig, nicht weil aktuell die Ökodiktatur vor der Tür steht, sondern weil nicht viel Fantasie dazu gehört sich vorzustellen, dass mit dem zunehmenden sozialen Druck der Klimakrise und einem Problemlösungsproblem der Demokratien unter erheblich erschwerten globalen Bedingungen der Ruf nach autoritär-expertokratischen Lösungen sehr laut werden könnte. Die Ökologiebewegung hatte in Teilen schon in ihrer Entstehungsphase eine Tendenz sowohl zu naturalistischen Fehlschlüssen, wie auch zur Skepsis gegenüber modernen Ideen von Freiheit als Selbstbestimmung. In der Summe lassen das Unpolitische wie auch das Illiberale, Anti-Emanzipatorische dieses Teils der Ökobewegung auch auf keine große Sensibilität hinsichtlich der hier erörterten Demokratiefrage hoffen. Zumal es in diesem Verständnis immer mindestens um die Rettung der Menschheit geht, wenn nicht um die des Planeten an sich. (Dabei steht jetzt schon fest: Die Natur wird den Menschen problemlos überleben.) Diese Denkweisen sind glücklicherweise weit von einer gesellschaftlichen Hegemonie entfernt. Aber eben deshalb ist so wichtig, jetzt im Vorgriff eines möglichen Stimmungswandels falsche Fährten zu analysieren und zu diskutieren.

V. Die Widerkehr des Sachzwangs

Die latente Demokratieskepsis eines Teils der Umweltaktivisten, angetrieben sicher auch durch eine Psychologie der „ablaufenden Uhr“, sickert allerdings durchaus bereits heute in die Konzepte ein. Etwa wenn im Rahmen des Vorschlags für einen EU-Sky-Trust zum Handel mit Emissionsrechten von Peter Barnes gefordert wird: „Ein europäischer Sky Trust sollte als unabhängige, transparente und rechenschaftspflichtige Körperschaft gestaltet werden – vergleichbar etwa mit der Europäischen Zentralbank -, deren Aufgabe es wäre, die Emissionsrechte und die daraus erwachsenden Einkünfte im Interesse aller Besitzer zu verwalten, sowohl der gegenwärtigen wie auch künftigen Generationen. Die Treuhänder müssten in einem Verfahren ausgewählt werden, das ihre Kompetenz, ihre Unabhängigkeit von Lobby-Interessen und ihre Integrität gewährleistet. Als Vorbild könnte hier die Ernennung von Verfassungsrichtern oder Zentralbankchefs dienen.“ Die demokratische Anbindung wird zwar nicht völlig gekappt, aber im Grunde ist man froh, wenn die Experten nicht durch die Volksvertreter gestört werden. Es ist paradox, dass hier bewusst oder unbewusst jene Logik eines ökologischen Sachzwangs greift, die in den politischen Auseinandersetzungen der 70er und 80er Jahre zu Recht scharf kritisiert wurde. Freiheit und Demokratie werden so zur bloßen Einsicht in die ökologische Notwendigkeit. Das TINA-Prinzip in grün: Eine emanzipatorische Ökologiebewegung sieht anders aus.

Vor dem Hintergrund, dass sich mit der Klimakrise ein Kampf um Gerechtigkeit, Selbstbestimmung und Demokratie verbindet, ist es schließlich durchaus verwunderlich, welch geringe Rolle das Thema in den Überlegungen einer liberalen Linken momentan spielt – auch in der Theorie. Damit überlässt man das Feld unnötig den Kräften, denen der Klimawandel gerade recht kommt, um ihre kulturkonservativen und / oder naturalistischen Bedenken gegen den Freiheitsbegriff und den Pluralismus der Moderne zu streuen. Und man überlässt es den reinen Ökologen, die im Naturschutz das eigentliche Ziel sehen, ohne die soziale und auch demokratische Frage im Klimawandel zu erkennen – und zu entsprechend paternalistischen oder technokratischen Ansätzen neigen. Stattdessen käme es darauf an, die Grundsätze eines politischen Liberalismus im Sinne von Rawls u.a. auf die Ziele, Wege und Strategien ökologischer Politik zu übersetzen. Das ist kein Spaziergang, denn auf dem Weg liegt unerschlossenes Gelände. Doch die Wanderung ist dringend notwendig.

VI. Neue demokratische Ansätze

Bei aller Sorge um die Zukunft unserer Demokratie bleibt natürlich die drängende Sorge um die Lösung der Klimafrage – auch und gerade als Voraussetzung für ein zukünftiges Leben in Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie. Es geht nicht um das ob der Demokratie, aber wie wir das Klimaproblem demokratisch lösen können, diese Frage ist berechtigt und zu diskutieren. Ökologische Politik kann nicht an den Menschen vorbeigemogelt, sondern muss im demokratischen Verfahren erstritten werden. Das schließt allerdings nicht aus, bestimmte institutionelle Arrangements in unserer Demokratie zu prüfen und zu modifizieren. Ein institutionalisierter - am Besten gewählter - Klimarat etwa, der mit advokatorischem Gewicht die Belange des Klimaschutzes im öffentlichen Diskurs und im parlamentarischen Verfahren wach hält, könnte ein Element einer demokratischen Selbsttransformation sein. Ziel wäre hier nicht die Delegation grundlegender Entscheidungen an eine außerdemokratische Institution, sondern die Öffnung des demokratischen Diskurses für bestimmte Aspekte, die unter dem beschriebenen motivationalen Defizit leiden. Die Forderung, einem solchen Klimarat solle zur Vertretung dieses Themenbereichs über die beratende und öffentliche Rolle hinaus die Rolle einer zweiten Kammer mit Blockademöglichkeit zugeschrieben werden, stößt allerdings wiederum auf gewichtige demokratietheoretische wie auch operative Bedenken. In jedem Fall macht es Sinn, sich vor diesem Hintergrund nochmals die unterschiedlichen Erfahrungen mit Räten, Kommissionen, Sachverständigenräten und demokratischer Delegation – vom Bundesverfassungsgericht bis zur Bundesbank – unter dem Aspekt ihrer demokratisch-republikanischen Funktion anzuschauen und Schlussfolgerungen zu ziehen.

Der Ruf nach mehr Demokratie darf deshalb umgekehrt die Klimakrise nicht ignorieren, sondern muss sie zu einem zentralen Thema machen. Es geht darum zweierlei zu zeigen: Dass der Kampf gegen den Klimawandel als ein Kampf für Freiheit und Selbstverwirklichung aller zu verstehen ist, und damit auch als ein Kampf für unsere politische Freiheit von morgen. Und dass eine gerechtigkeits- und freiheitsorientierte Lösung der Klimakrise nur demokratisch zu bewerkstelligen ist – wie sonst lässt sich ein Bewusstsein für gleiche Freiheit (und gleiche politische Freiheit heißt Demokratie) im Verfahren wachhalten, wie sonst kann man der Willkür der Lenker und Experten begegnen, wie sonst können sich die Betroffenen der Veränderung selbst überzeugen lassen, und wie sonst lässt sich ein produktiver Wettbewerb der besten Ideen und Ansätze herstellen.

VII. Grüne Paradoxie

Wenn auch von grünen Ökologen eine Analogie zwischen Klimapolitik im Rahmen eines Global Marshall Plans und der Kriegspolitik Churchills hergestellt wird, deutet sich schon an, dass auch hier mit der Annahme eines „ökologischen Ausnahmezustands“ für Demokratie nicht mehr viel Platz zu sein scheint. Ohne Übertreibung lässt sich in jedem Fall festhalten, dass mit Blick auf das Verhältnis von Demokratie und ökologischer Politik eine tiefe Paradoxie innerhalb der Grünen besteht. Während vom rechtsstaatsliberalen Flügel weitgehende Forderungen mit Blick auf Demokratie, Selbstverwirklichung und Emanzipation formuliert werden, wird vom ökologischen Flügel die Langsamkeit demokratischer Verfahren mit Sorge beobachtet und das Freiheitsbestreben der Moderne sowieso. Dieser Riss in der Partei liegt quer zu den Flügeln. Und die Protagonisten gehen sich schön aus dem Weg, scheinen die Konsequenzen ihrer weltanschaulichen Hintergrundannahmen für das jeweils diagonale Politikfeld oftmals gar nicht zu sehen. Es wäre deshalb sinnvoll und interessant, die beiden Gruppen grüner Fachpolitiker zur Frage des demokratischen Umgangs mit dem Klimawandel ins Gespräch zu bringen, in Kontroversen zu verwickeln. Klimapolitik im Namen der Freiheit (von morgen) oder gegen sie? Klimapolitik als Resultat demokratischer Auseinandersetzung oder zur Not auch ohne Demokratie?

Auf grünen Parteitagen lässt sich beobachten, dass der Riss mitunter nicht nur zwischen den fachpolitischen Flügeln sondern schon in den Köpfen der Einzelnen selbst liegt. Auf jubelnden Applaus für Selbstverwirklichung aller und radikale Demokratie folgt von den gleichen Delegierten beim nächsten Tagesordnungspunkt mitunter der gleiche Applaus für Selbstbegrenzung und ökologische Effizienz kombiniert mit 5-Minuten-vor-12-Rethorik (ob mit oder ohne demokratischen Vorlauf).

Die Debatte um den Zusammenhang von Demokratie und Klimawandel könnte also nicht nur die Partei als Ganze, sondern auch die politisch-weltanschauliche Kohärenz bei jedem Einzelnen voranbringen. Im Einzelnen handelt es sich um schwierige Fragen, die differenziert und deshalb – Ökologen bitte nicht nervös werden – mit Zeit zu diskutieren sind. In der Grundorientierung sollte aber klar sein: Klimapolitik ist ein Kampf um Freiheit, heute und morgen, hier und anderswo. Und Freiheit heißt auch politische Freiheit und damit zwingend Demokratie.


Peter Siller ist im Beirat der Grünen Akademie. Er ist Scientific Manager des Exzellenzclusters „Formation of Normative Orders“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zuvor war er Leiter der Abteilung Inland der Heinrich-Böll-Stiftung und Mitglied des Planungsstabes im Auswärtigen Amt. Studium der Rechtswissenschaften und der Philosophie. Er ist außerdem leitender Redakteur der Zeitschrift polar im Campus-Verlag. Zahlreiche Veröffentlichungen zu politischer Philosophie und Praxis. Ausgewählte Veröffentlichungen: Rechtsphilosophische Kontroversen der Gegenwart (1999), Politik als Inszenierung (2000), Zukunft der Programmpartei (2002), Arbeit der Zukunft (2006), Politik der Gerechtigkeit (2009).

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Dieser Beitrag ist auf die Arbeit der Grünen Akademie der Heinrich-Böll-Stiftung zurückzuführen. Die Grüne Akademie ist ein Netzwerk von Wissenschaftler_innen und an Theorie interessierten Politiker_innen, die sich mit grundlegenden gesellschaftlichen Fragen an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik auseinandersetzen.